IQNA

Wie Justiz für indische Muslime endet

0:12 - August 25, 2022
Nachrichten-ID: 3006722
TEHERAN (IQNA) – Es war der Unabhängigkeitstag- für Vergewaltiger und Mörder. Am 15. August waren 11 zu lebenslanger Haft verurteilte Täter, die im Jahr 2002 Massenmord begangen und muslimische Frauen im indischen Staat Gujarat vergewaltigt hatten, aus der Haft entlassen worden.

Die Staatsregierung hatte für die Verbrecher Vergebung gefordert. Es ist kein Zufall, dass ihre Freilassung an einem Tag stattfand, an welchem Indien 75 Jahre Freiheit vom Kolonialismus feierte. Als die Männer das Gefängnis verließen, trugen sie Girlanden.

Bilkis Bano, die einzige Überlebende einer Gruppe von Muslimen, die als ein Teil eines Progroms gegen ihre Gemeinde gehetzt und mit tödlichen Waffen angegriffen worden war, erhielt die Neuigkeit über die Freilassung ihrer Vergewaltiger mit Schock und Unglauben. Sie fragte in einem Bericht: „Wie kann Gerechtigkeit für Frauen so enden?“

Bilkis, die damals im fünften Monat schwanger war, ist eine der drei Frauen gewesen, welche von den Verbrechern, die jetzt freigelassen worden waren, gruppenvergewaltigt worden war. Der Kopf ihrer Tochter Saleha war vor ihr zerschlagen worden, wovon die Tochter sofort starb. Sie war drei Jahre alt. Insgesamt waren bei dem Angriff 14 Menschen ermordet worden.

Von diesem Moment an kämpfte Bilkis gegen diese unerwartete Entscheidung- und die Macht der Staatsregierung von Gujarat, die damals von Premierminister Narendra Modi geführt wurde und noch immer von seiner Bharatiya Janata-Partei (BJP) geführt wird- für Freiheit. Nach dem Zentralen Untersuchungsbüro, die erste Untersuchungsagentur Indiens, hatte der örtliche Polizeibeamte, der ihren Fall registriert hatte, nachdem sie den Tatort fast bekleidungslos verlassen hatte, ihren Bericht verzerrt, um den Fall abzuschwächen. Später hatte ein Gericht herausgefunden, dass Polizeibeamte und Ärzte die Fakten verfälscht, den Autopsieprozess manipuliert sowie Aufzeichnungen verfälscht und Beweise zerstört hatten. Erst nachdem die Nationale Kommission für Menschenrechte (NHRC) ihren Fall aufgenommen hatte, fingen die Räder der Justiz sich langsam zu drehen an.

Der Fall wurde nach außerhalb von Gujarat getragen, weil das Höchste Gericht überzeugt gewesen war, dass ein gerechtes Verfahren in diesem Staat nicht möglich sei. Im Jahr 2008 hatte ein Spezialgericht in Mumbai die Angeklagten wegen Vergewaltung und Mordes angeklagt, ein Urteil, das von Höheren Gerichten unterstützt worden war. 2019 hatte das Höchste Gericht die Regierung von Gujarat gebeten, Bilkis Bano 50 lakh Rs (62 560 $), ein Haus und einen Arbeitsplatz als Schadensersatz zu geben. Eine so hohe Entschädigung war für solche Fälle noch nie gezahlt worden und unterstreicht die Außergewöhnlichkeit dieses Falles.

Das betraf nicht nur Bilkis. Gruppen von Feministen, Menschenrechtsverteidiger und Organisationen reichten sich die Hände, um Bilkis zu schützen, die sich zur Sicherheit verstecken musste und ständig von einem Platz zum anderen zog. Ihr Kampf war für alle Anderen, die in etwas vergewaltigt und ermordet wurden, das in den Augen Vieler ein Teil der Genozidkriminalität gegen Muslime war. Wenn Leute, über die es keinen Kriminalitätsbericht gibt, sich entschließen, Frauen und Männer wegen ihrer Religion zu vergewaltigen und zu ermorden, wie es 2002 passiert war, wird es umso furchtbarer.

Die Gerechtigkeit wird also mit den Füßen getreten.

Nachdem einer der Verurteilten bei dem Höchsten Gericht um Begnadigung gebeten hatte, hatte das Hohe Gericht des Landes die Regierung von Gujarat gebeten, nach dem Begnadigungsgesetz von 2002 zu verfahren. Mithilfe von Löchern in diesem Gesetz hat ein von der Regierung von Gujarat ernanntes Kommittee -das mit BJP-Mitgliedern gefüllt war- Begnadigung empfohlen. Es ist ganz egal, dass Bilkis, die in der Nähe der Häuser der freigelassenen Verbrecher wohnt, jetzt um ihr Leben und die Sicherheit ihrer Familie fürchten muss- wieder einmal.

Warum war dies am Unabhängigkeitstag geschehen? Die Symbolhaftigkeit ist unausweichlich, vor allem seit Modi nur ein paar Stunden vorher, in einer Rede an die Nation über die Notwendigkeit, Frauen zu respektieren, gesprochen hatte. Es ist unvorstellbar, dass die Regierung von Gujarat die Freilassung der Verbrecher ohne dem Einverständnis des Büros des Premierministers und des Ministers für innere Angelegenheiten, Amit Schah, der Modis vertrauenswürdigster Leutnant ist, durchgedrückt hat. Schah hatte das Büro für innere Angelegenheiten inne.

Die Botschaft an Bilkis und all die anderen, die ihre Hand gehalten hatten, während sie für Gerechtigkeit kämpfte, ist klar: Auf diese Weise enden die Kämpfe für Gerechtigkeit in Indien- dass Verbrechen gegen Muslime – und selbst Massenmorde und Gruppenvergewaltigung- leichtfertig behandelt werden.

Es ist traurig, dass nichts hiervon überraschend ist. Schließlich war es unter Modis Herrschaft in Gujarat gewesen, dass Bilkis zuerst um ihr Leben rennen und sich dann vor der Staatsmaschinerie verstecken musste. Es war Modis Regierung im Staat, die gegen sie focht, als sie für Gerechtigkeit kämpfte.

Wenn man weiter zurückgeht ist es wichtig zu erinnern, dass Vinayak Damodar Savarkar, einer der ideologischen Gurus des regierenden Systems, Vergewaltigung als eine legitime Waffe, die Muslime daran hindern soll, dasselbe hinduistischen Frauen anzutun, gerechtfertigt hat.

Es ist auch kein Zufall, dass Aufrufe, Muslime umzubringen und Musliminnen zu vergewaltigen, in den letzten Monaten sogenannten hinduistisch-religiösen Führern überteragen wurde. Anstatt solche zu bestrafen, haben indische Behörden es auf diejenigen abgesehen, die solche Hassreden aufdeckten, so wie der Faktenüberprüfer Mohammad Zubair, der aufgrund falscher Gründe inhaftiert worden war.

Ebenso besorgniserregend ist die Rolle einiger Personen, die einst Bilkis unterstützt hatten- wie das Höchste Gericht. Im Juni war die Aktivistin Teesta Setalvad verhaftet worden, nachdem das Höchste Gericht selbst vorgeschlagen hatte, dass ihre Verfolgung der Gerechtigkeit für die Opfer des Gujaratpogroms eine Intrige gewesen sei, für die sie bestraft werden sollte.

Wenn die Botschaft an die Muslime ist, dass sie keine Gerechtigkeit zu erwarten haben, dann ist das Signal an die Unterstützer der BJP, dass sie gegen jedes Verbrechen immun sind. Daraus folgt, dass jede Behauptung, dass ein Hindu gegen einen Muslim ein Verbrechen begangen hat, eine Intrige sein muss - ungeachtet der vorhanden Beweismaterialien. Dies ist schon die Behauptung von Einigen hinsichtlich der elf Männer, die in Bilkis Fall freigelassen worden waren.

Die Aufhebung ihrer Verurteilung hatte in der indischen Zivilgesellschaft Wut ausgelöst, wobei die meisten Oppositionsparteien diese Bewegung kritisieren. Es ist interessant, dass der neueste Machtanwärter in Gujarat, die Aam Aadmi Partei- die in der Hauptstadt Delhi und im Punjab herrscht- sich vornehm zurückhält. Bevorzugt sie politische Zweckmäßigkeit vor Gerechtigkeit?

Die BJP versucht durch Entscheidungen wie diese- die für kluge Leute anscheulich sein sollte- ihre Wählerschaft zusammenzustellen, die zumeist aus Hindus, Partnern in dieser Perversität, besteht. Sie müssen gegen diese Kundgebung aufbegehren.

Die Auswirkungen für die 200 Millionen Muslime in Indien sind noch schrecklicher: Die Justiz kann, selbst wenn es nur eine Ausnahme ist, jeden Augenblick außer Kraft gesetzt werden. Selbst an einem Tag, wenn sie, wie andere Inder, die Nation, für die sie immer gelebt hatten, feiern, aber daran kehrt sich jetzt keiner mehr.

Von: Apoorvanand (Apoorvanand lehrt an der Universität Delhi Hindi. Er schreibt Literatur- und Kulturkritik.)

Quelle: Al Jazeera

 

3480180

captcha